Beispiele aus der osteopathischen Praxis
Atemnot und Rückenschmerzen
Die Fallgeschichte
Die 70-jährige Ilse Sch. machte sich Sorgen um ihren Mann. Professor Karl Sch. kam nur noch mit Mühe die Treppe zu seinem Arbeitszimmer hinauf, rang dort minutenlang nach Atem, bevor er die wenigen Schritte zum Schreibtisch schaffte. Für den 73-jährigen Asthmatiker schienen die 15 Stufen in letzter Zeit unüberwindbar zu sein. Ein Besuch bei ihrem Hausarzt, einem Internisten, erbrachte nichts Neues. Er unterzog den Asthmapatienten einem neuen Lungenfunktionstest, der aber keinerlei Verschlimmerung seines Zustands aufzeigte. Zu den Schmerzen im Bereich der Brustwirbel fiel dem Schulmediziner gar nichts ein. Er verschrieb ein neues Medikament. Doch Ilse Sch. wollte sich mit dieser Diagnose und Behandlung nicht zufrieden geben und suchte nach einer Erfolg versprechenden Alternative: Sie hatte vom Samya-Therapiezentrum in Köln-Rodenkirchen und den guten Ergebnissen der dortigen osteopathischen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gehört und meldete ihren Mann dort an.
Der osteopathische Befund
Die dortigen Ärzte nahmen einen funktionellen Zusammenhang zwischen der Lungenüberblähung und der eingeschränkten Dehnungsfähigkeit des Brustkorbs an. Damit verbunden konnten nach ihrer Meinung auch Fehlstellungen der Rippen sein mit Auswirkungen auf den Bereich der Brustwirbelsäule.
Nach der etwa einstündigen Untersuchung setzten sich Arzt und Patient zusammen. Das Ergebnis:
V Ausgehend vom Lungenemphysem, der Lungenüberblähung, und der damit verbundenen Atem- und Luftnot hatte sich eine eingeschränkte Beweglichkeit des Brustkorbs herausgebildet.
► Weiter wurde festgestellt, dass Folgendes in Zusammenhang mit der Haupterkrankung steht: die Beweglichkeit des Brustkorbs, die Einschränkungen bestimmter Rippen, Schmerzen, die in den mittleren Brustwirbelbereich ausstrahlen, sowie eine Spannung des Zwerchfells und bestimmter Muskelstrukturen im Bereich des Brustkorbs und des Rückens bis hinein in die untere Region.
► Ebenso führten bestimmte Bewegungseinschränkungen innerer Organe, wie beispielsweise von Teilen der Lunge und Teilen des Bauchraums, dazu, dass eine Verstärkung der Beschwerden entstand, die nicht nur auf das Lungenemphysem zurückzuführen war.
Der Behandlungsverlauf : Die Recoil-Techniken
Herrn Sch. wurde vorgeschlagen, sechs Behandlungstermine im Zentrum wahrzunehmen, mit dem Ziel, durch bestimmte osteopathische Praktiken den inneren Organen wieder mehr Beweglichkeit zu geben. Der Brustkorb sollte durch spezielle Techniken der Osteopathie gedehnt werden und mit Hilfe der funktionellen Muskulatur der Gelenke Einfluss auf den Rücken genommen werden.
Die Dehnung des Brustraums
Bei der ersten Behandlung wurde mit einer Thoraxdekomprimierung (Dehnung des Brustkorbs) begonnen: über den Rippen, dem Brustbein, den Zwischenrippengelenken, den Schlüsselbeinen und schließlich über dem Zwerchfell. Dazu benutzten die Therapeuten zum einen Muskelentspannungstechniken mit Unterstützung der Atmung, außerdem gewisse Recoil-Techniken zur Entspannung der knöchernen Strukturen des Brustkorbs. Die Recoil-Technik wird vor allem in den gelenkigen Ansätzen der Rippen zum Brustbein hin und der Rippengelenke zur Wirbelsäule hin angewendet. Darüber hinaus benutzten die Therapeuten viszerale osteopathische Techniken, um die Bronchien, die Kuppeln des Brustfells und das Zwerchfell zu entspannen. Herr Sch. staunte über den Effekt der ersten Behandlung: »Ich bekomme Luft, kann viel besser atmen und brauche auf dem Weg gar nicht so oft stehen zu bleiben. Dieser Panzer um die Brust ist weg, und ich habe im Rücken keine Schmerzen mehr.«
Therapie der Organe und Muskeln
Die weitere Behandlung verlief folgendermaßen: Zuerst bezog sich die gesamte Therapie auf den Brustkorb, seine Muskeln, seinen knöchernen Anteil, den Rücken, das Brustbein, die Rippenbogengelenke, die Brustwirbelsäule und das Zwerchfell. Dann wurden die Bronchien, die Lungenspitzen, das Zwerchfell und die Dehnbarkeit des Brustkorbs osteopathisch behandelt – im späteren Verlauf außerdem noch die Organe, vor allem Magen, Speiseröhre, Leber und der Darmbereich. In den letzten Behandlungen wurden die Muskeln behandelt, die für einen normalen Ablauf des Gehens verantwortlich sind. Dazu gehörten Rückenstrecker, -beuger, Adduktoren (Muskelgruppen an den Oberschenkelinnenseiten) und die Sprunggelenke, da bei dem Patienten eine Beckenfehlstellung vorlag, die wiederum für Rückenbeschwerden im unteren Bereich verantwortlich war. Ebenso wurden funktionelle Störungen in den Kniegelenken wie auch in den Sprunggelenken festgestellt und therapiert.
Der Behandlungserfolg
Das Fazit von Herrn Sch. lautete: »Ich fühle mich wie neugeboren. Es ist ein völliges Wiederaufleben. Ich hätte nicht gedacht, dass mein alter Körper durch die osteopathische Therapie wieder so hergestellt werden kann und wieder so leistungsfähig wird. Schon nach der ersten Behandlung fühlte ich mich deutlich besser. Und es ist danach immer besser geworden. Es gab keinen Rückfall.«
Der medizinische Hintergrund
Hier handelte es sich um einen Patienten, der eigentlich kein direktes Problem mit dem Bewegungs- und Stützapparat hatte, sondern eher ein inneres Problem, eben ein Lungenemphysem. Ein Emphysem, verbunden mit Asthma, bewirkt eine Erschlaffung der Atemmuskulatur. Doch der Atemprozess läuft über die Atemhilfsmuskulatur. Die Folgen davon sind schließlich eine sehr stark eingeschränkte Dehnungsfähigkeit des Brustkorbs und damit natürlich auch Verspannungszustände der dortigen funktionellen Muskulatur sowie der inneren Organe wie der Bronchien und Teile der Lungenlappen. Wenn also die Bewegungsfähigkeit des Brustkorbs eingeschränkt ist, dann gilt das ebenso für die Bewegungsfähigkeit, die so genannte Motilität, der inneren Organe. Das führt zu einer gestörten Funktion und dies wiederum zu einer Leistungsminderung, meint die Osteopathie. Das bedeutet, der Patient leidet nicht nur unter einem Vitalitätsverlust durch die Einschränkung seines Atemvolumens, sondern zusätzlich noch unter einem Leistungsverlust durch die eingeschränkte Funktion bestimmter innerer Organe.
Ein Kreislauf der Schmerzen beginnt
Dieses Krankheitsbild, respiratorische Dysfunktion des Brustkorbs und der Rippen genannt, löst über die so genannten Costotransversalgelenke auf die Brustwirbelsäule einen Schmerz aus. Ursache dafür ist die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit der Rippen bis hin zu der Anlagestelle der Rippenbogengelenke an die Querfortsätze der Wirbelsäule. Da aber dann die Wirbelsäule selbst Schmerzen auslöst, projizieren diese wiederum in den Brustkorb hinein, so dass sich hier ein Teufelskreis entwickelt, der eine immer größer werdende Funktionseinschränkung mit stetiger Schmerzzunahme zur Folge hat.
Wie die Osteopathie helfen kann
Die Aufgabe der osteopathischen Medizin ist in diesem Fall zunächst eine Funktionsprüfung. Durch Tasten wird die Beweglichkeit bestimmter Rippenbogengelenke am Rücken und die Bewegungsfähigkeit der inneren Organe untersucht. Dieses Verfahren erfordert vom Osteopathen ein hohes Maß an Erfahrung, Geschick und Sensitivität. Ist diese Diagnose gestellt, kann man mit den entsprechenden Techniken, die im Abschnitt »Die osteopathischen Techniken«, Seite 28ff., vorgestellt wurden, sehr viel erreichen.
Natürlich spielt auch der Alterungsprozess eine Rolle, denn je älter der Mensch ist, desto geringer ist die Elastizität, mit der er sich noch bewegen kann. Trotzdem kann eine Entspannung der knöchernen, der gelenkigen und der bindegewebigen Strukturen erzielt werden.
Die Ausweitung der Behandlung über das Becken bis hin zu den Sprunggelenken liegt darin begründet, dass der Patient im Lauf seines Lebens bestimmte Belastungsmerkmale aufgebaut hat. Und da das Fußskelett sozusagen der Stoßdämpfer bzw. das Fahrgestell des Körpers ist, können sich Fehlstellungen im Bereich der Rücken- oder Beckenstrukturen durchaus über die Hüft- und Kniegelenke bis zu den Sprunggelenken und den anderen knöchernen Anteilen der Füße auswirken. Die Osteopathie ist aufgrund ihrer ganzheitlichen und ursächlichen Betrachtungsweise in der Lage, diese Kausalketten und deren funktionelle Störung zu behandeln.
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